2.6.21
Ein Gespräch über Girls* Go Movie

Ruth Hutter (rechts) und Michaela Rott
Interview: Michaela Rott
Girls* Go Movie startet dieses Jahr ins 17. Projektjahr. Es ist ein Kurzfilmfestival und Film-Coaching-Programm für Mädchen* und Frauen* von 12 bis 27 Jahren, die in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen leben, arbeiten oder dort geboren sind. Jährlich bietet es kostenlose Qualifizierung- und Bildungsangebote zum Medium Film an und setzt sich für den weiblichen Blick in der Filmlandschaft ein. Ein Gespräch mit der künstlerischen Leitung Ruth Hutter.
Die Studie „Gender und Film“ der Filmförderungsanstalt zeigt, dass Frauen* in so gut wie allen kreativen Schlüsselpositionen unterrepräsentiert sind, obwohl fast genauso viele Frauen* wie Männer* Abschlüsse in den entsprechenden Studiengängen an den Filmhochschulen erwerben. Diese Diskrepanz zwischen Frauen* und Männern* entsteht also erst ab dem Berufseinstieg und ist im Nachwuchsfilm noch nicht prävalent. Warum braucht es immer noch das Girls* Go Movie-Projekt?
Uns geht es vorrangig darum, ein Support-System aufzubauen, in dem Frauen* sich gegenseitig unterstützen und gemeinsam Erfahrungen und Selbstbewusstsein hinter der Kamera sammeln können. Die Nachwuchsförderung, die Girls* Go Movie anbietet, stärkt Mädchen* und schafft eine Realität, in der Mädchen* und junge Frauen* auch hinter der Kamera stehen. Sie sollen ein Selbstbewusstsein für ihre eigene Stimme entwickeln. Gerade bei den Girls* Days haben wir immer wieder bemerkt, dass sich Mädchen* seltener einen Beruf hinter der Kamera zutrauen. Außerdem existieren häufig immer noch Stereotypen, dass Jungen besser mit Technik umgehen können. Girls* Go Movie geht aktiv gegen diese Stereotypen vor und schafft Zutrauen und einen Safe Space für Mädchen* und Frauen*. Es ist also immer noch ein wichtiges und effektives Projekt.
Wie genau werden junge Mädchen* bei Girls* Go Movie gefördert?
Wir haben mittlerweile ein recht großes Support-Programm mit vielen unterschiedlichen Angeboten. Jüngeren Mädchen* zwischen 12 und 17 bieten wir Feriencamps an, in denen sie gemeinsam einen Film produzieren. Außerdem haben wir Filmcoaching-Programme, bei denen wir die Teilnehmerinnen individuell nach ihren Bedürfnissen unterstützen. Aus einem Stab aus 18 Mentorinnen wird eine passende Unterstützung für das Projekt herausgesucht, die sie von der Idee bis zum fertigen Film unterstützen kann. Für junge Frauen*, die schon mehr Erfahrung haben, ihr Wissen aber noch ausweiten wollen, bieten wir das Mentoring-Programm an. Dort können sich die jungen Frauen* mit Filmideen bewerben und diese dann mit Filmhochschulstudentinnen umzusetzen. Hierbei arbeiten die Teilnehmenden selbständiger an ihren Filmen und können von der Unterstützung und dem Know-how der Mentorinnen profitieren. Dieses Jahr findet außerdem zum zweiten Mal das Sonder-Projekt „Dokumentarisches Porträtieren-Women* in Tech“ in Kooperation mit der SAP statt. Jede der circa zehn Teilnehmerinnen von Girls* Go Movie hat hier die Möglichkeit, eine Frau* in einem technischen Beruf bei der SAP zu porträtieren.
Was genau beschäftigt Mädchen* und junge Frauen* momentan besonders?
Immer dabei sind gesellschaftspolitische und aktuelle Themen. Es ist toll zu sehen, wie reflektiert junge Mädchen* schon auf das Zeitgeschehen blicken. Auffällig sind außerdem Filme, die sich mit den Themen Selbst-und Fremdwahrnehmung auseinandersetzen. Gerade durch Social Media und Schönheitsideale, mit denen junge Frauen* täglich konfrontiert werden, ist dieses Thema wahrscheinlich sehr präsent. In den letzten Jahren kommen auch immer mehr Themen wie Geschlechterrollen, Gender und das Ausbrechen aus diesen Strukturen auf. Im Coronajahr 2020 haben sich außerdem viele mit dem „Alleinsein“ und dem „Selbst“ beschäftigt.
Inwiefern schafft Girls* Go Movie einen Raum für Menschen, die sich nicht dem binären Geschlechtersystem zugehörig fühlen und sich nicht als „Girls“ identifizieren?
Wir freuen uns zu sehen, dass das Thema Gender und das Ausbrechen aus den stereotypischen Rollenbildern immer mehr in die Mitte der Gesellschaft rückt. Das war vor 17 Jahren, als Girls* Go Movie gegründet wurde, noch nicht so. Daher wollen wir auch bei unserem Namen mit der Zeit gehen. Wir haben uns lange mit dem Thema beschäftigt, wie wir inklusiver und zugänglicher für non-binäre Personen werden können. Deswegen haben wir uns für das Gendersternchen entschieden. Obwohl wir gedanklich natürlich immer schon offen waren, ist es wichtig, das auch formal und offiziell festzuhalten. Die Sprache und Formulierung ist dabei ein wichtiges Tool. Wir gehen da ganz nach der Devise: Fehler machen ist okay. Wir nehmen es auf unsere Kappe, wenn jemand etwas am Gendersternchen auszusetzen hat. Dadurch können wir in einen Austausch treten und eine bessere Lösung finden. Wichtig ist uns erstmal, überhaupt etwas zu unternehmen.
Plant ihr, das Projekt deutschlandweit auszuweiten?
Wir haben schon öfter überlegt, wie das umsetzbar wäre, da mit einer Ausweitung auf ganz Deutschland viele Änderungen verbunden wären. Einerseits wäre es toll, das Projekt auszuweiten und Mädchen* in ganz Deutschland zu erreichen. Vor allem wenn man sieht, was dieses Projekt alles für junge Frauen* bewirkt. Andererseits wird das Festival auch unpersönlicher, je größer es wird. Und gerade die Nähe zu den Teilnehmerinnen macht Girls* Go Movie aus. Größer bedeutet also nicht gleichzeitig besser. Als ersten Schritt haben wir unser Angebot im letzten Jahr auf Hessen ausgeweitet, was natürlich toll ist. Aber auch da fehlt es noch an Finanzierungen. Deswegen müssen wir erstmal schauen, wie es mit Hessen weitergeht, bevor wir an ganz Deutschland denken.
Worauf bist du besonders stolz?
In den 17 Jahren von Girls* Go Movie konnte ich dabei zusehen, wie aus Mädchen* Filmemacherinnen geworden sind. Viele haben wir ja über mehrere Jahre hinweg begleitet und dabei mitbekommen, wie sich ihr Selbstvertrauen in ihr Können immer weiter ausgebaut hat und sie inzwischen auf Filmhochschulen studieren, eine Ausbildung im Bereich Film machen und immer noch am Ball sind. Für mich ist es ein großes Erfolgserlebnis, wenn Mädchen*, die damals bei unseren Programmen dabei waren, inzwischen für uns arbeiten und die nächste Generation Filmemacherinnen zum Beispiel als Mentorinnen unterstützen. Es entsteht also eine familiäre Atmosphäre, die einfach großartig ist. Daran merkt man: Guter Support wird nachhaltig belohnt.
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